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California Dreamin’


15. März 2024

California Dreamin’

  • Erlebt und geschrieben von Markus Huber

Schon bald wieder zehn Jahre ist es her, seit ich die Gelegenheit bekam, die Geschicke einer US-Niederlassung eines Schweizer Industriebetriebes im Silicon Valley zu leiten. Dass man dort gut Gleitschirmfliegen kann, war nicht Voraussetzung, wohl aber ein glücklicher Zufall, welcher den Entscheid, den herausfordernden Job anzunehmen, erleichtert hat.

An sich würde man ja denken, dass sich unser Sport im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ohne viel Regulierung betreiben lässt. Ein Trugschluss, wie ich schon bald erfahren sollte. Obwohl ich seit 1983 Delta, Starrflügler und später auch Gleitschirm fliege, kam ich nur sehr knapp darum herum, neben der Autoprüfung auch die Gleitschirmprüfung nochmals von Grund auf in Angriff nehmen zu müssen. Dies, weil ich nun nicht als Tourist, sondern mit einem H-1B Visa in San Jose lebte.

In den USA organisiert die USHPA (United States Hang Gliding and Paragliding Association) die Ratings für Gleitschirmpiloten in mehreren Stufen. Dies, um sicherzustellen, dass Piloten entsprechend ihrem Können und ihrer Erfahrung zertifiziert werden. Zum Erlangen der nächsten Stufe ist jeweils eine Prüfung abzulegen. Die Ratings können variieren. Sie umfassen in der Regel fünf Stufen:

1. Anfänger
2. Novice, ermöglicht das Fliegen unter Aufsicht eines erfahrenen Piloten
3. Intermediate, erlaubt das Erlernen von fortgeschrittenen Techniken und Verfahren
4. Advanced, ermöglicht dem Piloten an Wettbewerben teilzunehmen
5. Master, erlaubt freies Streckenfliegen

Die meisten Fluggebiete und deren Startplätze sind kategorisiert. Die Vereine legen fest, wo mit welchem Rating gestartet und gelandet werden darf. In Fluggebieten mit mehreren Startplätzen kann es kompliziert werden, auch weil die Amerikaner es mit Regeln und Vorschriften sehr genau nehmen und es in den USA keine so praktischen Gesetzeswerke wie das OR oder das ZGB gibt, wodurch vieles schon mal grundsätzlich geregelt wäre. Jedes und alles wird individuell niedergeschrieben. Dies öffnet bei Vorfällen Tür und Tor für Schadensersatzklagen aller Art. Landeigentümer, die Clubs, die Trägerschaften und das Management der Parks, die Instruktoren, Bahnen, Transportdienstleister, Versicherer, die Piloten selbst, sie alle können zur Verantwortung gezogen werden. Alle müssen sich vor geschäftstüchtigen Anwälten in Acht nehmen, was zu einer Flut an Regelwerken führt. 

Aber dann gibt es da doch noch einige «Free Sites», wo es sich ganz und gar ohne Regeln, ja gar gänzlich ohne Lizenz fliegen lässt. Eines meiner Lieblingsfluggebiete, die «Dumps» oder auch «Mussel Rock» genannt, liegt ganz in der Nähe von San Francisco an der Pazifikküste. Die verschiedenen Startplätze liegen in der CTR des Airports unterhalb der verlängerten Startpiste 01L. Die maximal erlaubte Höhe für Gleitschirm- und Deltapiloten beträgt daher 1500 feet. Man nimmt dies ernst, denn man sieht den Airlinern von unten praktisch aufs Fahrwerk. In den sechziger Jahren wurde hier noch Bauschutt in den Pazifik gekippt. In den Jahren danach wurden die «Dumps» zur Schutzzone erklärt, was zur heute artenreichen Tier- und Pflanzenwelt geführt hat. Entlang dem Küstenstreifen lässt es sich kilometerweise in nördlicher Richtung soaren. Schaut man in Richtung Festland, fällt die eindrückliche Abrisskante auf, wo durch die Andreasverwerfung die Küstenlinie in den Pazifik erodiert. Im Laufe der Jahrzehnte rutschten dabei ganze Strassenzüge und Häuserreihen ab. Nicht weniger eindrücklich ist die Aussicht in Richtung Pazifik. Während des ganzen Jahres sind Wale zu beobachten. Manchmal weit draussen, nur durch Ansammlungen von Vögeln und dem Blas zu erkennen, und manchmal nur einige hundert Meter von der Küste entfernt, sodass man das laute Ausatmen aus der Luft deutlich hören kann. Zu beachten gilt es mitunter die Gezeiten, denn wenn der Wind zu schwach ist und es nicht trägt, ist eine Landemöglichkeit auf einem genügend breiten Sandstreifen unabdingbar. Bei starkem Wind ist der Venturi Effekt ganz oben an der Küstenkante in beängstigendem Ausmass spürbar. Es empfiehlt sich, den Rat erfahrener Piloten einzuholen.

Die folgenden Bilder sind auf einem meiner schönsten Flüge entstanden. Ausgehend vom Startplatz gings zunächst in südlicher Richtung nach Pacifica, um dort zu wenden und über Ocean View, den Olympic Golf Club, Fort Funston (wo die Deltas starten), entlang dem San Francisco Zoo bis hin zur Ocean Beach zu fliegen, wo ich inmitten von hunderten kreischenden Möwen sicher landen konnte. Wenn ich die Augen schliesse, sehe und höre ich noch immer den Pazifik, wild rauschend und funkelnd im kalifornischen Sonnenlicht.

 

Unterwegs Richtung Pacifica

 

Gerne gebe ich den Stab an Erich Blättler, einen erfahrenen Piloten und guten Fliegerfreund weiter.

Mit fliegerischen Grüssen
Markus Huber