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Transalp Süd: In acht Etappen von Nizza nach Chamonix


21. Oktober 2023

Transalp Süd: In acht Etappen von Nizza nach Chamonix

  • Erlebt und geschrieben von Patrick Burkhalter
In acht Etappen von Nizza nach Chamonix
In acht Etappen von Nizza nach Chamonix

Am Samstag, 2. September 2023 um 8:20 Uhr stehe ich an einer Tankstelle in der Nähe des Flughafens von Nizza und warte auf den Pickup Bus. Bereits zum dritten Mal nehme ich an dieser aussergewöhnlichen Reise teil. Unser Ziel ist es, die Strecke von Nizza bis kurz vor die Schweizer Grenze in acht Etappen mit dem Gleitschirm zu bewältigen. Mich fasziniert, wie man mit einem Stück Stoff von der mediterranen Côte d’Azur, über die wilde Provence bis zu den Gletschern des Mont Blanc fliegen kann.

Begleitet werden wir neun Piloten von Kari Eisenhut, Steve Cox und der «Pick Up Managerin» Mirjam Eisenhut.

Bewölkung, Labilität und Wind werden den Weg bestimmen, unsere Fähigkeiten und etwas Glück darüber entscheiden, wie weit wir jeden Tag kommen.

Hier ist mein Bericht über die schönsten Etappen im Süden:

 

1. Tag: Gourdon - Gréolières

Gréolières, Landplatz
Gourdon

Nach einem kurzen Besuch in einer örtlichen Bäckerei machen wir uns auf den Weg nach Gourdon, etwa 20 km von Nizza entfernt, um uns dort einzufliegen. Gestartet wird auf einer Krete auf 1100 m über Meer, sobald der Wind vom Meer stark genug ist, um an den Felsen zu soaren, aber noch nicht so stark, dass der Landeplatz nicht mehr erreicht werden kann. Wer einen Bubble erwischt und die Krete genügend überhöht, kann nach der Querung der Hochebene hinter dem Startplatz Richtung Gréolière auf Strecke gehen.

Da die Wolkenbasis heute nur knapp 100m über der Krete liegt, ist der Streckenflug zu unserem Ziel nicht machbar. Darum lande ich wie die meisten der Mitpiloten nach einer Stunde hin- und herfliegen am Landeplatz.

Nach einer kurzen Fahrt zu unserer Unterkunft in Gréolières halten wir das Briefing für den nächsten Tag ab, während wir ein Landebier geniessen. In Dreiergruppen beurteilen wir die Prognosen für Bewölkung, Labilität und Wind und leiten daraus mögliche Gefahren, Routen und die optimale Taktik für den nächsten Tag ab.

 

2. Tag: Col de Bleyne - St. André Les Alpes

Um 8:30 Uhr machen wir uns auf den Weg zum Col de Bleyne und erreichen nach einem kurzen Fussmarsch den Startplatz. Von hier aus wurden bereits zahlreiche beeindruckende Streckenflüge geflogen, darunter einige, die bis in die Schweiz führten.

Normalerweise trifft man hier erfahrene französische Streckenflieger, aber heute sind weder Honorin Harmard noch Luc Armant oder sonst jemand zu sehen. Dies liegt wahrscheinlich an den eher schlechten Wetteraussichten (zähe Blauthermik bis auf 2200-2500 Meter, Wind aus östlicher Richtung mit 10 km/h, am Nachmittag zunehmender West-Nordwestwind). Heikelste Schlüsselstelle wird darum heute der Startschlauch sein.

Ich gehöre zu den ersten, die starten, und kann in einem schwachen Aufwind den Startplatz überhöhen. Leider habe ich mich zu früh gefreut, 10 Minuten später kratze ich knapp über den Bäumen und stehe bald am Landeplatz. Zum Glück gibt es heute eine zweite Chance und Mirjam bringt mich zusammen mit den beiden anderen gestrandeten Piloten zurück zum Startplatz.

Beim zweiten Versuch läuft es besser. Schnell finde ich eine erste Thermikblase, die es mir ermöglicht, weiter Richtung Osten ein gute Abrisskante anzufliegen, wo der Lift zur Basis auf 2400m wartet. Weil meine «Absaufkollegen» auf diesen Umweg verzichten und darum ein Stockwerk unter mir kreisen, beschliesse ich, allein der ersten Gruppe zu folgen.

Zuerst geht es einer sanften Hügelkette entlang Richtung Westen. Die grossen Solaranlagen auf der Sonnenseite sorgen für zuverlässige Thermik. Auch die Querung zur nächsten Krete im Norden gelingt ohne Probleme und schnell erreiche ich eine Höhe von 2800 Metern. Kein Vergleich zu den letzten beiden Jahren, als meine Route tief den Hängen entlangführte. 

Auch die nächste Schlüsselstelle, ein grasbewachsener Berg nach der Hälfte der Strecke, ist kein Problem. Ein Segelflieger zeigt den Weg nach oben. Auch vor der letzten Querung zur Krete südöstlich von St. André kann ich auf Unterstützung zählen. Ein Schwarm Gänsegeier markiert den Schlauch vor mir. Es ist faszinierend, gemeinsam mit diesen Königen der Lüfte im Aufwind zu kreisen

Weiss der Geier... wo es steigt.
Geier

Der Rest des Flugs ist Genuss pur. Ich fliege der Krete entlang parallel zum See, mache mit Handy ein paar Fotos und nach 40 Kilometern und 1.5 Stunden Flugzeit bin ich schon hoch über dem Landeplatz.

Lac
Lac de Serre-Ponçon

Auch alle anderen Teilnehmer des Camps haben die Strecke geschafft und so gibt es beim Landebier am Landeplatz, während des Debriefings und beim Nachtessen im Hotel viel zu erzählen.

 

3. Tag St. André Les Alpes - Montclar

Heute steht die Königsetappe auf dem Programm: Von St. André über den Cheval Blanc bis nach Montclar. Dazwischen wilde Bergtäler mit viel unlandbaren Gebiet. Wer hier landen muss, hat einen längeren Fussmarsch bis zur nächsten Strasse vor sich.

Um 9:30 fahren wir los zum Startplatz, wo wir das morgendliche Briefing abhalten.

Wir erwarten keine Bewölkung, auch kaum Cumuli, die Labilität ist am Morgen schwach, wird im Laufe des Nachmittags besser, mit einer Basis um 2800 Meter. Der Wind soll in der Höhe aus Süd-Westen kommen. Aufzupassen gilt es auf die «Brise» aus Westen, eine Art alpines Pumpen, das kurz nach Mittag einsetzt und die Kreten bei St. André überspült. Schlüsselstellen sind der Startschlauch, der Cheval Blanc und danach das wilde Gebiet mit wenigen Landemöglichkeiten, dem wir den Spitznamen «Jurassic Park» geben.

Als die ersten Gleitschirme kurz nach 12 etwas Thermik finden, starten wir. Der Startschlauch ist wie erwartet schwach, bubbelig und extrem überfüllt. Nach etwa 15 Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen, gelingt es mir endlich, Höhe zu gewinnen und ich kann mich auf den Weg der Krete nach Richtung Norden machen. Die Basis liegt bei etwa 2500 Meter. Nicht besonders hoch, aber die vielen anderen Gleitschirme zeigen gut, wo es geht und wo nicht.

Cheval Blanc

Cheval Blanc

Nach etwa einer Stunde liegt der weisse Cheval Blanc vor mir, aber kein Gleitschirm darüber. Kein gutes Zeichen und schon bald geselle ich mich zu meinen Kollegen und kratze in der schwachen Thermik dem Hang entlang.

Zum Glück zeigen mir wie gestern ein paar Geier vor mir eine Thermikblase an, die mich wieder auf 2500 Meter bringt. Das ist etwas knapp, um den Sprung Richtung Jurassic Park zu schaffen. Weit vor mir sehe ich Kari, der an einer Krete Höhe macht, und wage die Querung. Dort angekommen, erwische ich einen starken, engen Schlauch, der mich im Nu an die Basis auf über 2700 Meter katapultiert. Es scheint, als ob sich die Thermik dem Gelände anpasst, am runden Cheval Blanc schwach und unzuverlässig, ein paar Kilometer weiter in den felsigen Bergen stark und bockig.

Ab und zu sehe ich einen meiner Kollegen, tief unter mir oder hoch in der Mitte des Tals. Die nächsten Kilometer fliege ich hoch von Krete zu Krete und mache in jedem Schlauch die maximale Höhe von etwa 2800 Meter.

Nach etwa 2.5 Stunden erreiche ich den Grat, der nach Montclar führt. Die Basis liegt hier wieder tiefer, die Thermik ist schwach und es hat spürbaren Gegenwind. Nahe an den Felsen kann ich den Rest der Strecke im Geradeausflug bewältigen. Nach weiteren 30 Minuten und insgesamt 60 Kilometern lande ich ausgepumpt am offiziellen Landeplatz, auf dem bald auch einige meiner Kollegen landen.

Etwa die Hälfte der Piloten erreicht das Ziel, die anderen werden auf dem Weg von Mirjam aufgelesen.

Der Rest der Woche war geprägt von schönem Wetter, schwachen Bedingungen, zähen Inversionen und vielen positiven Erlebnissen.

Die nächste Episode der Flugstafette wird Werner Gübeli bestreiten.

 

Patrick Burkhalter

      Weiss der Geier... wo es geht.